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Öttingers Trauerrede

 

Gunter_Ottinger_2.2_1_[1]Öttinger löste mit seiner am 11.4.2007 für Hans Filbinger, den früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, gehaltenen Trauerrede viel Wirbel und Empörung aus.
Öttinger hatte erklärt, Hans Filbinger sei kein Nationalsozialist gewesen, er sei ein Gegner des NS-Regimes gewesen und durch seine Tätigkeit als Marine-Richter hätte kein Mensch sein Leben verloren.

Filbinger war wohl kein eingefleischter und etablierter Nationalsozialist gewesen, aber er war Mitglied in der Partei. Im Jahr 1937 war er in die NSDAP eingetreten, womit man annehmen muss, dass es eine gewisse Übereinstimmung zwischen ihm und der Partei gab, auch wenn ihm sicherlich Etliches am Regime nicht gefallen hatte. 
Filbinger als einen Gegner des NS-Regimes zu bezeichnen, ist mehr als fraglich und muss nach allgemeinem Sprachverständnis, das sich mit dem Wort Gegner verbindet,  verneint werden. Es ist unbestritten, dass er kein Widerstandskämpfer war.
Die Aussage, dass durch Filbingers Tätigkeit als Marinerichter niemand sein Leben verloren hat, ist wohl richtig und dass er sich in einigen Fällen eingesetzt hat, um Todesurteile zu verhindern, muss Filbinger hoch angerechnet werden. Letzteres wurde von den Medien im Großen und Ganzen verschwiegen. Insofern ist es ein Verdienst Öttingers, dass er auch auf diese Tatsachen hingewiesen hat, die sonst einfach verschwiegen wurden. Öttinger redete von zwei Fällen, andere sprechen von fünf Fällen.
Doch ist Filbingers Unterschrift beim Todesurteil eines Deserteurs kein Ruhmesblatt, das Gleiche gilt für die Forderung nach der Todesstrafe, die er als Staatsanwalt erhob. Zwar wurde der junge Soldat Gröger auf Grund des Richterspruchs und nicht auf Grund der Forderung des Staatsanwalts Filbinger hingerichtet. Doch hätte es Filbinger besser angestanden, hier nicht die Todesstrafe zu fordern, sondern eine Haftstrafe, selbst wenn dies am schlussendlichen Urteilsspruch nichts geändert hätte.
Festzustellen ist, dass Filbinger im Nationalsozialismus insofern versagt hat, dass er nicht eine solche Position eingenommen hat, wie es wünschenswert und ehrenvoll gewesen wäre. Das Profil und Format eines Widerstandskämpfers hat er nicht gezeigt, er war wie viele andere eben einer der mitgemacht hat und in sofern kann man auch bei ihm von einem Versagen sprechen. Dabei ist dies eine Feststellung und kein Vorwurf, denn Widerstand war im Dritten Reich sehr gefährlich und wohl viele, die sich heute ein Urteil erlauben, hätten in der damaligen Situation so gehandelt, wie Filbinger und viele andere auch gehandelt hatten.

Dies alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass Filbinger versagt hatte.
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Was nun die empörten Reaktionen anbetrifft, so sind diese auf der einen Seite ein gutes Zeichen dahingehend, dass man allgemein hellhörig ist, andererseits scheint jedoch die Angelegenheit überzogen zu sein, insbesondere vor dem Hintergrund einer Beerdigungsrede, die sich nunmal nach allgemeinem Konsens zunächst an die Angehörigen richtet und wo sich insofern nicht unbedingt die Gelegenheit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Verhalten des Verstorbenen bietet. Dies sollte auch von den zahlreichen Kritikern  bedacht werden. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn Öttinger weniger gesagt hätte oder wenn er auch die Problematik der Verstrickung Filbingers in den damaligen staatlichen Behördenapparat erwähnt hätte.

Abwegig war es jedoch, wegen dieser Rede Rücktrittsforderungen an die Adresse von Öttinger zu richten. Diese Trauerrede ist kein Grund, das Amt eines Ministerpräsidenten niederzulegen.
Zu fragen ist bei der teilweise vehement geäusserten Kritik, ob hier blasse Politiker versuchten, sich mit harsch geäusserter Kritik medienwirksam hoch zu hangeln. Auch die Motivation einer solchen Kritik bleibt zu hinterfragen und es darf bezweifelt werden, ob bei diesen nämlichen Kritikern gerade die Charakterstärke zum Ausdruck kommt, die man bei Filbinger im Dritten Reich vermisst hat.

Nachdem der öffentliche Druck sehr stark wurde, hatte sich Öttinger entschuldigt und versucht, seine Aussagen klarzustellen. Unter anderem erfolgte die Klarstellung in der BILD-Zeitung, wobei  - bei allem Verständnis für eine angestrebte große Verbreitung - hier die Frage gestellt werden kann, warum in der BILD-Zeitung? Hätte es kein anderes Presseorgan dafür gegeben, zumal die übergreifende Publizierung ohnehin erfolgt wäre?
Entschuldigt hatte sich der Ministerpräsident auch in Berlin vor dem CDU-Präsidium und in Frankfurt vor dem Zentralrat der Juden, was die Medien jeweils als einen Gang nach Canossa bezeichnet hatten um noch dreist und wohl unzutreffend hinzufügen, Frau Merkel habe ihm durch ihre frühe öffentliche Rüge vermutlich den Job gerettet. Davon kann keine Rede sein. Nach Frankfurt zu gehen, hätte Öttinger besser unterlassen. Das Gespräch in Frankfurt hatte weder ihm noch dem Zentralrat genutzt. Es wäre Öttingers Sache gewesen, zu diesem Gespräch nein zu sagen!
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Im gesamten Zusammenhang fällt das Verhalten der Medien sehr unangenehm auf: Öttinger sagte in seiner Trauerrede auch: “Allerdings konnte er (Filbinger) sich den Zwängen des Regimes ebenso wenig entziehen wie Millionen andere. Wenn wir als Nachgeborene über Soldaten von damals urteilen, so dürfen wir nie vergessen: Die Menschen damals lebten unter einer brutalen Diktatur!”
Diese Passage wurde in den Berichten der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ausgeblendet. Man nahm sogar durch den Schnitt einen Qualitätsverlust in der Präsentation in Kauf, um wohl diese Passage nur nicht an den Bürger zu bringen. Hier fragt sich schon, soll der Bürger manipuliert werden, will man ihm einen Teil der Wahrheit vorenthalten. Dies wirft ein schlechtes Licht auf diese Medien, dabei werden sie noch staatlich finanziert und beaufsichtigt.
Ohnehin lässt die ganze Diskussion weitgehend Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit vermissen: Zunächst ist festzustellen, das Öttinger sich nicht für den Nationalsozialismus ausgesprochen hat, sondern im Gegenteil den Nationalsozialismus als etwas Schlechtes dargestellt hatte und Filbinger posthum als eine Person darstellen wollte, die zu diesem Schlechten auf Distanz war. Wenn man Öttinger damit in die Nähe des Nationalsozialismus bringen möchte, ist das schlicht Unfug. Den Versuch, Filbinger vom Nationalsozialismus rein zu waschen, war ziemlich töricht, aber dies als rechtslastig im Sinne einer heimlichen Affinität zum Nationalsozialismus aufzufassen ist schon dreist, wenigsten kann eine solche Unterstellung aus dem Geschehen nicht abgeleitet werden. Man könnte auch schlicht annehmen, dass es Öttinger darum ging, über seinen Vorgänger an dessen Grab etwas Gutes zu sagen und dabei überzogen hat. Ob Öttinger weitere Absichten verfolgte, kann nicht ausgeschlossen werden, aber auch nicht bewiesen werden.

 

Öttinger hatte vehement zurückgerudert. Damit waren die Rücktrittsforderungen gegenstandslos geworden. Dabei fiel auf, dass die Forderungen nach Rücktritt - von einer Ausnahme abgesehen - um so lauter waren, je weiter die entsprechenden Leute vom politischen Geschehen in Stuttgart entfernt waren. Diejenigen, die nahe dran waren, wollten den Rücktritt Öttingers nicht, da sie befürchteten, dass dann mit Nachfolge-Kandidaten zu rechnen ist, deren politische Linie von den Kritikern weit weniger akzeptiert wird als die, welche Öttinger verkörpert. Solche Kritiker, welche die Situation vor Ort weniger kannten, erhoben dagegen unbeirrt ihre Rücktrittsforderungen. Auch hier stellt sich die Frage der Moral und auch an dieser Stelle kann man den Medien und den medienwirksam agierenden Matadoren kein besonders gutes Zeugnis ausstellen.
Wird in Deutschland eine ideologische “Wahrheit” verfochten, die mit der tatsächlichen Wahrheit nicht übereinstimmt? Wird die ideologische “Wahrheit” so lautstark verkündet, dass der unkritische Beobachter sie für die tatsächliche Wahrheit hält?
Bis heute wurden die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Marinerichtertätigkeit stehenden Handlungen, womit Filbinger Menschen vor dem Tode - und das bei persönlichem Risiko - bewahrt hat, nicht gewürdigt. Warum wird nicht dargestellt, dass bei seinen Todesurteilen es von vorneherein klar war, dass sie nicht vollstreckt werden konnten und dass die Fahnenflucht mit einem Mord verbunden war. Warum firmiert Filbinger in den Medien als NS-Marine-Richter, der er nunmal nicht war, denn die Militärrechtsprechung basierte nicht auf NS-Recht, sondern auf dem Militärrecht von 1872. Diese Fakten entschuldigen nicht das Versagen von Filbinger, aber sie zeigen die Einseitigkeit der Medien. Man kann annehmen, dass die meisten Medien, die sich in der Berichterstattung über Filbinger hervortaten diese Fakten kannten - aber man macht sie dem Bürger nicht zugänglich. Hochhut hatte, nunmehr erwiesenermassen, falsche Tatsachen behauptet in seiner damaligen Kampagne gegen Filbinger, aber darüber wird weitgehend der Mantel des Schweigens gebreitet.
Aus der NS-Geschichte kann man lernen, dass der Bürger gut daran tat oder gut daran getan hätte, den Berichten der Medien in vielen Punkten nicht zu glauben und den Verlautbarungen kritisch gegenüber zu stehen.  Bezüglich der Berichte in der jüngeren Geschichte gilt Ähnliches und bei den Berichten über das heutige Tagesgeschehen tut man gut daran, so Manches kritisch zu hinterfragen und nicht alles zu glauben.

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