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Bauernstand

Der Bauernstand

 

Der Bauernstand leidet unter mangelnder Anerkennung. Obwohl die Landwirtschaft und damit der Bauernstand einer der wichtigsten Berufszweige
ist, findet der Bauer wenig gesellschaftliche Anerkennung. Dies ist keine Erscheinung der Neuzeit, sondern es handelt sich hier um eine jahrhundertealte Tatsache. Der Bauer gehörte in Jahrhunderten und Jahrtausenden während fast jeder Epoche zum unteren Stand, zu den Niedrigsten der Gesellschaft.

Anerkennung durch einen Verführer
Anerkennung erhielt der Bauernstand leider erst durch einen Verführer, nämlich durch Hitler. Im Nationalsozialismus genoss der  Bauernstand hohe gesellschaftliche Anerkennung, gefördert wurde er durch angemessene und stabile Preise sowie durch die garantierte Abnahme seiner Produkte. So wie heute seine Produktionsleistung als Überproduktion deklariert wird und damit zum allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problem stilisiert wird, so fand er im Dritten Reich gerade für seine Produktionsleistung Anerkennung, Wertschätzung und wirtschaftlichen Erfolg. Zwar hatte man im Dritten Reich nicht die Zielsetzung, dass die Bauern als Stand und als gesellschaftliche Gruppe zu Ehren kommen sollten, sondern sie sollten ihren Beitrag leisten zum Autarkiestreben Hitlers. Nachdem die Problematik fehlender Nahrungsmittel im Ersten Weltkrieg mit allen negativen Auswirkungen zu spüren gewesen war, wollte man an dieser Stelle für Sicherheit sorgen, nicht zuletzt auch für innenpolitische Sicherheit: solange das Volk Brot hat, revoltiert es nicht. Dazu wurde der Bauer instrumentalisiert, um durch hohe Produktion von Agrargütern, die Unabhängigkeit vom Ausland zu garantieren und damit Hitler den Rücken für seine Welteroberungspläne freizuhalten. Nur allzu willig ließ sich der Bauernstand in seiner Mehrzahl von der Naziideologie verführen. Die Scholle wurde mystifiziert.
Am Ende der zwar kurzen, aber doch viel zu langen Herrschaft der Nazis stand der Verlust großer Agrarregionen im Osten Deutschlands, zerstörte Bauernhöfe, ruinierte und ihres Landes beraubte Bauern. Der Führer war ein Verführer gewesen, leider zu spät wurde dies in der Bauernschaft erkannt und bis heute fand noch kein Bekenntnis, noch keine Reue, noch keine Buße dafür statt, dass man nur zu willfährig den Nazis auf den Leim gegangen war.
Hier muß noch Aufarbeitung erfolgen.

Umwälzung in der Nachkriegszeit
In der Nachkriegszeit wurde der Bauernstand zahlenmässig regelrecht dezimiert durch die Industrialisierung. Der Fortschritt in Form einer raschen Technisierung der Landwirtschaft machte es möglich beziehungsweise notwendig, dass nur noch wenige Bauern in diesem Wirtschaftszweig tätig sein konnten. Das große Hofsterben begann. Familien mit jahrhundertealter Bauerntradition mußten aufgeben und wurden vom freien Bauern zum abhängigen Lohnempfänger, vom unternehmerisch Tätigen zum Weisungsempfänger - allerdings mit erfreulichen materiellen Folgen: plötzlich erbrachte die Arbeit ihren Ertrag, plötzlich lebte man in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen, ein zwar bescheidener, aber doch merklicher Wohlstand stellte sich ein.

Bei den verbliebenen Bauern stellte sich mehr und mehr die Notwendigkeit zur industriellen Produktion ein. Berufsethos wurde immer kleiner geschrieben, Bauernhöfe mit Tradition wurden zu Aga_M_Miste_vor_Haus_1_1_[1]rarfabriken mit hohem Ausstoss an Agrargütern oder wurden umgekehrt zu Nebenerwerbsbetrieben.
Diese Entwicklung hatte nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern auch und vor allem gesellschaftliche. Die gesunde Familienstruktur, wo am Erwerb und am Ernähren der Familie alle, von jung bis alt, Männer und Frauen beteiligt waren, wo gemeinsam am gleichen Ziel gearbeitet wurde, war man plötzlich auseinandergerissen in unabhängige, relativ anonyme Produktionsstrukturen, wo die Familienangehörigen einen Großteil der Zeit voneinander getrennt arbeiteten und nur die Restzeit miteinander teilten. Dabei war diese Restzeit nicht von unternehmerischem Handeln geprägt, sondern eher von passivem Verbringen.

Soziologische Einschnitte
Gravierende soziologische Veränderungen fanden statt mit einschneidenden Folgen. Die relativ gesunde Struktur einer gemeinsamen familiären Herausforderung, wurde ersetzt durch eine bequemere und relativ sichere Struktur des Arbeitnehmers, der in einem großen, oftmals anonymen Rahmen tätig ist. Ein Stand, der über Jahrhunderte stets die Mehrheit der abendländischen Bevölkerung ausgemacht hatte, wurde zu einer Minderheit von ganz wenigen.
Die Gesellschaft hatte einen radikalen Wandel innerhalb kürzester Zeit vollzogen.

 

Der Bauer im Mittelalter
Der Bauer führt heute ein gesellschaftliches Schattendasein. Dies war auch schon im Mittelalter so, als der Bauer auf dem Höhepunkt seiner zahlenmäßigen Stärke war: Zu dieser Zeit stellte der Bauer ca.  90 % der Bevölkerung, aber sein Einfluß, blieb gering.

Abhängigkeit
Abhängig von  Adeligen und Landbesitzern, von Fürsten  und Herren, war er Knecht, jedoch nicht Sklave. Die Leibeigenschaft bezog sich auf die Verpflichtung zur Abgabe von Steuern, nicht jedoch auf da_Kuhe_im_Stall_1_[1]ie Verfügbarkeit über die Person. Auch das zu mancher Spekulation Anlaß gebende ius primae noctis, war kein Recht auf die erste Nacht mit der Braut eines Bauern, sondern eine Art Steuer, die der Bauer in Form von Naturalien an den Grundherrn entrichten mußte, wenn er heiraten wollte.
Gleichwohl war die Situation der Bauern im allgemeinen sehr schlecht, so dass es eine Frage der Zeit war, bis der Bauer versuchte, seine Stellung zu verbessern.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts spitzte sich die Situation zu.

Gleichheit vor Gott
Aus dem Christentum, nicht zuletzt aus dem reformatorischen Gedankengut schöpften sie das Bewußtsein, dass Gott alle Menschen gleich geschaffen hatte - göttliche Gerechtigkeit war ihre Forderung. In zwölf Artikeln , die sie aus der Bibel herleiteten, verfassten sie ihre Forderungen: freie Pfarrerwahl, freie Verkündigung des Evangeliums, Abschaffung der Leibeigenschaft, Beseitigung der grundherrlichen Lasten. Bei den Fürsten stießen sie mit ihren berechtigten Forderungen auf taube Ohren.

Ausmerzung der Bauern
Dies führte zu einer Radikalisierung und Gewaltbereitschaft, die sich im Sturm auf Schlösser, Klöster und ganze Städte Luft machte. Zunächst wichen die Fürsten zurück, organisierten jedoch ihre Heere. Sobald sie ihre Militärmacht beieinander hatten, griffen sie die Bauern an und merzten den Bauernaufstand in diesem ungleichen Kampf fast aus. Den ca. 100.000 toten Bauern auf dem Schlachtfeld standen nur geringste Verluste der Fürsten in Form von einzelnen Landsknechten und Adeligen gegenüber. Viele Bauern wurde nicht nur in der Schlacht niedergemacht, sondern danach enthauptet, verbrannt, verstümmelt. Der Bauea_M_Disteln_auf_Acker_1_1_[1]rnstand in Süddeutschland war im Mark getroffen. Von dieser Niederlage, die nicht nur eine Niederlage in der Schlacht war, sondern ein Zerstören seines Selbstbewußtseins und seiner Würde, erholte sich der Bauernstand in Jahrhunderten nicht.
Der Bauer zeigte fortan eine knechtisch unterwürfige Haltung und entwickelte andererseits eine gewisse Verschmitzheit und  Schläue, die schließlich zum Begriff “Bauernschläue” führte.

Bauer und Reformation
Betrogen fühlten sich die Bauern auch von der Reformation. Luther hatte sich zunächst für die Sache der Bauern stark gemacht, dann aber den Schwenk vollzogen und erklärt, man müsse die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern bekämpfen und die Bauern erwürgen wie tolle Hunde.
Die Bauern fühlten sich von Luther verraten, sie wandten sich von der Reformation zunehmend ab. “So setzte der Bauernkrieg auch dem lebendigen Gemeindechristentum der ersten Jahre ein Ende.” (Eugen Kaiser Hrsg., Grundzüge der Geschichte, Bd. 2, S. 198)

Dezimierung der Bauern
In manchen deutschen Landstrichen führte der Bauernkrieg zu einer regelrechten Dezimierung des Bauernstandes. Teilweise muss man schon fast von einer Ausrottung der Bauern sprechen.
Der Bauernstand konnte sich jahrhundertelang von dieser Niederlage nicht erholen und bis heute lasten die damaligen Geschehnisse wie ein Hypothek auf dem deutschen Volk und vor allem auf der evangelischen Kirche. Die alte katholische Kirche war schon seit Jahrhunderten machtpolitisch etabliert und die neue protestantische Kirche etablierte sich in ähnlicher Weise im Bauernkrieg. Fortan war die Kirche nicht Kirche der Armen und Unterdrückten, sondern der Herrschenden, der Machthabenden, der Reichen, auch wenn zum Erhalt dieser Herrschaft brutale Gewalt zur Anwendung kam. Bis heute sind diese Elemente im Erbgut protestantischer Kirchen noch nicht ganz verschwunden. Die biblisch richtige Kirche ist eine Kirche für alle, Arme und Reiche.

Traumatisierung
Der Bauernstand leidet bis heute unter diesem erlittenen Trauma. Dort wo man sich im 16. Jahrhundert auf Basis des Wortes Gottes zu einer freien Bauernschaft hatte aufschwingen wollen, wo man seine Legitimation aus göttlichem Recht bezog, wurde man brutal niedergedrückt und zerstört.
Korrekterweise darf nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur der Bezug zur Bibel das Fundament des Aufbruchs war, sondern, dass negative Elemente in Form von Okkultbünden, Verschwörungen, geheimen Bruderschaften und Verstoß gegen göttliche Ordnungen sich beimischten. Manches in der Bauernbewegung war auch schlicht rebellisch.
Zwar muß man erkennen, dass solche Bewegungen auch manche Disziplinlosigkeit und eine Ausuferung der Gewalt und eine allgemeine Radikalisierung mit sich bringen können, jedoch erklärt die Eigendynamik einer revolutionär-reformatorischen Bewegung nicht alle immanenten Missstände, sondern es muß gesagt werden, dass es an den Fundamenten zu Fehlentwicklungen kam. Gleichwohl haben nicht die Bauern das Gemetzel zu verantworten, sondern ihre Schlächter. Beide haben unter der furchtbaren Handlungsweise gelitten, Opfer und Täter, Schlächter und Erschlagene.
Lasten hier Hypotheken auf dem Volk und der Kirche. Lasten hier Flüche auf den Land?

Bauernstand als Objekt des Interesses
Interessant ist, dass gerade der Bauernstand oft das Ziel des politischen Interesses ist. Immer wieder ging es darum, diesen Stand zu beherrschen, ihn auszubeuten, ihn zu besitzen.
Im Feudalismus durch das Lehensystem, im Bauernkrieg durch Ausrottung, in der Neuzeit durch Präferierung der Industrialisierung, wurde das Bauerntum an seiner Entfaltung gehindert.

Besonders interessant ist, wer den Bauernstand zu seinem Ziel ausguckt. In jüngerer Zeit ist hier der Nationalsozialismus zu erwähnen, der den Bauernstand instrumentalisierte und mystifizierte, heraushob und verehrte.

EU und Bauernstand
Interessant ist auch, dass die EWG als Wirtschaftsgemeinschaft den Agrarsektor als Hauptobjekt ihrer Aktivitäten auserkor und bis heute daran festhält. Man weiß in diesen Kreisen: “Europas Geschichte steht auf den Schultern der Bauern. Sie haben buchstäblich den Boden der europäischen Kultur bestellt, die Ernährung von Stadt und Land getragen und den größten Teil der Bevölkerung gebildet. Bäuerliche Lebensformen haben jahrhundertelang die soziale Wirklichkeit geprägt.“ (Werner Rösener, Die Bauern in der europäischen Geschichte, München 1993, S. 298.) Bezeichnend ist auch der ständige Trend in der EU, die Bauernschaft in eine zunehmende Abhängigkeit von der Brüsseler Behörde zu bringen. Nachdem jahrzehntelang Subventionen an die Produktion gekoppelt waren, ist man nun dazu übergegangen, das System zu ändern und durch direkte Beihilfen zu ersetzten. Das heißt, der Bauer ist abhängig von Zahlungen der  Behörde.
Diese ganzen Zahlungen könnte man sich ersparen, wenn die Nahrungsmittel etwas teurer sein könnten. Teurere Nahrungsmittel können in den entwickelten Ländern wie Deutschland, Holland, Frankreich etc. problemlos verkraftet werden: Eine Verdoppelung des Getreidepreises würde bei einem Laib Brot gerade mal mit 10 Cent zu Buche schlagen. Eine solche Verteuerung kann auch jeder Sozialhilfeempfänger locker verkraften. Bei Milch- oder Fleischprodukten ist bei einer Preisverdoppelung die Auswirkung auf das Endprodukt zwar größer, gleichwohl doch noch gut verkraftbar. Man betreibt also in der EU einen ungeheuren und teuren Aufwand für einen Effekt, der für den Bürger allenfalls von marginaler Bedeutung und von sehr geringem Nutzen ist, der jedoch andererseits einen riesigen Apparat braucht, in Brüssel und anderswo und der teuer finanziert werden muß. Gleichzeitig führt es dazu, dass Flächen stillgelegt werden und Landschaft verödet.
Niemand will im Grunde genommen den von der EU diktierten Agrarsektor: die Bauern nicht, weil sie bevormundet werden, die Endverbraucher nicht, weil sie so gut wie keinen Nutzen davon haben und der einfache Bürger als Steuerzahler nicht, da ihn das Ganze doch recht teuer kommt. Wozu betreibt also die EU den Agrarsektor? War es in den Anfängen französische Wahltaktik zur Verhinderung eines sozialistischen Wahlsiegs oder nur ein Irrtum Frankreichs aus der Gründerzeit der EWG in den Fünfzigerjahren - wenn es so wäre, dann hätte man das System längst aufgeben können. Oder hat das System ein solch großes Beharrungsvermögen, dass man es einfach nicht aufgeben will, obwohl niemand seinen Sinn versteht?
Oder werden andere, z.B.  gesellschaftliche und bevölkerungssoziologische Ziele verfolgt?

Im Rahmen der EU ist festzustellen, dass trotz manch netter Bauern-Demonstration, der Bauer bei der Verfolgung seiner Interessen sich nicht durchsetzen konnte, sondern im Grunde jedes Diktat annahm.
Ein Berufsstand der ständig von Subventionen und Beihilfen abhängig ist, entwickelt tendenziell weniger Bewußtsein und Stehvermögen, sich im Wettbewerb der gesellschaftlichen Kräfte zu behaupten als ein freier Stand.
Hält man den Bauer nieder, indem man ihn zu einer hilfsbedürftigen und auf Unterstützung angewiesenen, selbst nicht lebensfähigen, Randfigur der Gesellschaft macht?
Interessant bleibt die Tatsache, dass der Bauernstand das Objekt politischer Ziele ist und man ihn zum Objekt von Zielen und Ideen macht.

Die letzten 50 Jahre
Betrachtet man die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 50 Jahre, so ist festzustellen, dass die landwirtschaftlich tätige Bevölkerung geradezu dezimiert wurde und sich damit ein ungeheurer soziologischer Wandel der Gesellschaft in wenigen Jahrzehnten vollzogen hat.


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