Bergpredigt und Krieg
Friedensappell Jesu
Der Friedensappell Jesu in der Bergpredigt gilt gemeinhin als Grundlage für den Pazifismus. Wie dem Neuen Testament nach Matthäus 5, 9 zu entnehmen ist, sprach Christus in der Bergpredigt vom Frieden: „Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“
Der griechische Text gebraucht das Wort “εϊρηνοποιοϊ” (eirenopoioi), d.h. Friedensstifter und zwar im Sinne von “Frieden machend”, eirhnh und poiew (eirene und poieo). Gemeint ist das aktive Herbeiführen von Frieden - Frieden im Sinne eines sicheren, ausgewogenen und nicht labilen Zustandes. Es geht um ein Herbeiführen, um ein Handeln, um ein Tun, das Frieden schafft und Frieden stiftet und Frieden erhält.
Im lateinischen Text der Vulgata ist zu lesen:
“Beati pacifici: quoniam filii Dei vocabuntur“ - “glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden”.
Pazifismus?
Vielfach wird daraus ein: „Selig sind die Pazifisten“ - was einer Verfälschung gleichkommt. „Pacificus“ setzt sich sprachlich zusammen aus „pax“ und “facere“, somit bedeutet „pacem facere“ den Frieden schaffen - „facere“ im Sinne eines aktiven Tuns, eines Handelns, eines Machens. Folglich hat dies nichts zu tun, mit einem bloßen Abwarten, mit einer passiven Haltung, mit einem Gewährenlassen, mit einem hedonistischen Treibenlassen, mit einer Ignoranz für die Abläufe in der Welt, mit einem sich Sträuben vor angemessenen Antworten oder mit einer Realitätsverweigerung. Die Aussage lautet: “Selig sind die Friedensstifter”, nicht die Waffenlosen – ein bedeutender Unterschied. Die „pacifici“ und die Pazifisten sind zweierlei.
Instrumentalisierung?
Kaum eine Aussage wurde mehr instrumentalisiert, als der Friedensappell Jesu. Die Friedensbewegung berief sich darauf, sowohl die kirchlich konnotierte als auch bei passender Gelegenheit die säkulare. Die einseitige Instrumentalisierung der Bergpredigt zieht sich durch die Literatur: Es gehört schon zum gängigen Standard, sich auf die Bergpredigt zu berufen und damit wie selbstverständlich pazifistische Positionen zu begründen. Dabei hat das Ganze den Anschein eines schlichten Wiederkauens altvorderer Positionen. Anstatt sich dezidiert mit dem biblischen Inhalt auseinander zu setzen, wird ungeprüft übernommen. Nach landläufiger Auffassung, aber auch im Konsens einer großen akademischen Gemeinschaft, bedeutet „Bergpredigt“ pauschal Pazifismus und zwar im Sinne einer Waffenlosigkeit: Kein Krieg, keine Rüstung, kein Militär, kein bewaffneter Widerstand. Der Bibel-Text sagt Solches jedoch nicht, die Aussage Jesu ist eine andere.
Ziel oder Mittel?
Grundsätzlich bezieht sich die Aussage Jesu auf ein Ziel und zwar in Form der Herbeiführung eines Zustands. Es sind nicht die Mittel gemeint, um einen angestrebten Zustand zu erreichen. Das Ziel ist der Zustand des Friedens - die Frage der Mittel eine völlig andere. Die Aussage der Bergpredigt gilt dem Ziel, nicht dem Weg zum Ziel. Insofern ist es unangemessen und eine hermeneutische Fehlleistung, sich auf die Mittel zur Zielerreichung zu fokussieren.
Verdrehung?
Muss man sogar von einer einseitigen Verdrehung und faktisch einer eklatanten Fälschung sprechen, welcher Generationen von Geisteswissenschaftler und Theologen aufgesessen sind?
Hat eine manipulative Friedenssemantik Inhalt, Bedeutung, Aussage und Intention des Textes bzw. des Autors verfälscht? Es geht in der Bergpredigt um den Frieden, nicht um die Waffenlosigkeit.
Die Bergpredigt taugt nicht zur Begründung des gängigen Pazifismus, schon gar nicht im Sinne einer christlichen Verbindlichkeit und Ausschließlichkeit zum Pazifismus.
Frieden durch Auf- oder Abrüstung
Gemäß eines dynamischen Begriffsverständnisses lässt sich aus der Bergpredigt eine breite Varianz menschlichen Verhaltens ableiten, so dass das Friedenstiften erfolgen kann durch Aufrüstung oder Abrüstung, durch Kapitulation oder Kampf bis zum letzten Mann, wobei sich das jeweils adäquate Handeln situativ gemäß dem Kairos Gottes ergibt und nicht aus einer vorgefertigten statischen, ideologisch oder religiös voreingenommenen Position.
Fokus auf dem Frieden
Der Fokus richtet sich auf den Frieden, nicht auf die Bedingungen für den Frieden. Der Gegenstand der Aussage Jesu ist der Friede und das Bemühen, diesen herzustellen, aber es ist keine Aussage, wie dieser Friede herzustellen ist: ob gewappnet oder waffenlos, mit Atomwaffen oder ohne, mit Bündnissystemen oder Neutralität, mit Völkerfreundschaft oder Isolation, mit Tributzahlungen oder Unabhängigkeit, mit Waffenlosigkeit oder Rüstung, mit Kapitulation oder Kampf. Die Bibel lässt die Aufrüstung und die Waffenlosigkeit zu, den Krieg und die Kapitulation - das Ziel ist der Frieden. Es mag Situationen geben, in welchen Waffenlosigkeit und Kapitulation die richtigen Friedensinstrumente sind und es mag Situationen geben, in welchen Aufrüstung und Krieg die richtigen Friedensinstrumente sind. Jesus macht hierzu keine Aussage. Es geht um den Frieden: kann dieser eher erreicht werden durch Waffenlosigkeit, so ist diese vorzuziehen, kann der Frieden eher durch militärische Rüstung erlangt werden, so ist diese vorzuziehen.
Friedenssicherung durch Waffen
Kaum etwas ist teurer als ein Krieg, auch wenn dieser gewonnen wird. Somit sind einige Milliarden für Rüstungsausgaben zur Kriegsverhinderung u.U. gut angelegtes Geld, auch wenn man die beschafften Waffen schon nach etlichen Jahren wieder teuer verschrotten muss. Die menschlichen Anstrengungen auf der Erde unterliegen stets der Zeitlichkeit. Zweifellos muss gelten: Je weniger Waffen zur Friedenssicherung erforderlich sind, desto besser.
Waffen nieder?
Kern und Intention der Aussage Jesu ist der Zustand des Friedens. Um diesen Zustand zu erreichen und zu wahren, muss fast jedes Mittel recht sein: Abrüstung oder Aufrüstung, Waffenlosigkeit oder Massenvernichtungswaffen, Krieg oder Vorab-Kapitulation. Zu unterschiedlichen Zeiten kann Unterschiedliches angemessen sein, die Richtigkeit ergibt sich aus der weltpolitischen Konstellation, aus dem Zeitfenster, aus dem Kairos Gottes. 1914 hätte die allgemeine Parole lauten müssen: „Waffen nieder“, aber 1939 beispielsweise für England “Zu den Waffen”.
Wenig Raum für Waffenlosigkeit
Da der (moderne) Mensch in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft lebt und somit Gott als Kooperator im politischen und gesellschaftlichen Leben in seinem Kalkül weitgehend ignoriert, scheint es problematisch, den Kairos Gottes für die waffenlose Erlangung des Friedens vorauszusetzen oder sich passiv und willig ins Schicksal zu ergeben.
Nach menschlichen Gesetzmäßigkeiten gibt es zur Herstellung und Beibehaltung von Frieden wenig Raum für Waffenlosigkeit oder Kapitulationsbereitschaft – eine solche Haltung würde mit großer Wahrscheinlichkeit den Tod der Massen bedeuten. Im Rahmen eines “homo homini lupus est”, tut man sicherlich gut daran, sich zu wappnen, auch wenn dies niemals eine Garantie für den Frieden ist. Doch die Wahrscheinlichkeit, den Frieden erhalten zu können, steigt mit einer angemessenen Bewaffnung. Das ist schlicht die menschliche Realität, ob der Einzelne diese gut findet oder nicht, tangiert diese Realität nicht.
Anmerkung 1:
Das Schwert “nehmen”
Jesus sagt in Matthäus 26, 52 anlässlich seiner Gefangennahme in Gethsemane, als Petrus mit dem Schwert nach dem Knecht des Hohenpriesters schlägt und diesen verletzt: “Stecke dein Schwert an seinen Ort. Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.” Auch von dieser Aussage wird teilweise eine Begründung für den Pazifismus abgeleitet. Grundsätzlich handelt es sich bei dem hier dargestellten Geschehen nicht um ein kriegerisches Szenario unter staatlichen Einheiten, sondern um eine Art von tyrannischer “polizeilicher” Gewaltaktion innerhalb einer gesellschaftlichen bzw. staatlichen Gemeinschaft. Deshalb eignet sich diese Bibelstelle eher nicht dazu, das Kriegführen unter Staaten als grundsätzlich verboten zu bezeichnen. Die Handlungsweise von Petrus kann nach dem griechischen Text (auch) aufgefasst werden, als ein “willkürliches Dreinschlagen, Niederschlagen, Erschlagen”, ohne eigentliche Legitimation (πατασσω - patasso). Das zum Schwert “Greifen” (λαμβανω - lambano), kann (auch) verstanden werden als ein “affektives, unkontrolliertes, hinterhältiges und widerrechtliches Handeln”. Aus dieser Bibelstelle ein Verbot des Krieges im Allgemeinen ableiten zu wollen, dürfte nur schwer möglich sein. Interessant ist auch der Hinweis: “Stecke dein Schwert an seinen Ort.” Es ist nicht die Aufforderung, das Schwert wegzuwerfen oder zu vernichten, sondern es an seinen Ort zu tun. Die Ausführungen Jesu erklären die Handlungsweise des Petrus primär nicht in erster Linie als ethisch verwerflich, sondern als pragmatisch unangemessen. (Wobei das Handeln von Petrus vielleicht durchaus ethisch-moralisch als verwerflich eingeschätzt werden kann, nur der Text scheint auf diese Bewertung nicht abzuheben.) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bibelstellen im Zusammenhang mit der Gefangennahme Jesu nicht zwingend das Verbot eines Krieges ableiten lassen.
Anmerkung 2:
Krieg vermeiden
An anderer Stelle sagt Jesus (Luk. 14, 31 u. 32): “Welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen anderen König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden.” Auch hier wird das Kriegführen als solches nicht prinzipiell verboten, sondern es wird empfohlen, den Krieg zu vermeiden.
Politik mit der Bergpredigt!
Ob man die Bergpredigt als Thronrede Gottes oder Regierungserklärung Jesu sieht oder auch nicht - mit der Bergpredigt kann man durchaus Politik machen, exzellente Politik. Man sollte geradezu mit der Bergpredigt Politik machen. Würde die Bergpredigt die Grundlage der Politik sein, so würde der Staat funktionieren. Biblische Aussagen - im Gesamtkontext interpretiert - sind nicht abgehobene Theorien, sondern geben die Antwort auf die Herausforderung der Welt. Die Lehre der Bibel und das (eigentliche) Naturrecht harmonieren miteinander.
Legitimer Pazifismus?
Grundsätzlich ist eine pazifistische Haltung durchaus zu respektieren, vor allem im persönlichen Bereich, und vor allem dann, wenn Pazifisten bereit sind, was viele auch glaubwürdig verkörpern, die entsprechenden Konsequenzen auf sich zu nehmen. Als allgemeine gesellschafts-politische Position ist der Pazifismus eher zu hinterfragen, allenfalls in speziellen Situationen kann er sinnvoll und akzeptabel sein, wobei der radikale Pazifismus im Hinblick auf die Realpolitik viele Fragen aufwirft und kaum befriedigende Antworten gibt. Auch scheint die Bevölkerungsmehrheit fast jeden Staates eher nicht gewillt zu sein, die Konsequenzen des radikalen Pazifismus bis zum Äußersten zu tragen.
Bergpredigt stützt den Pazifismus nicht
Doch auch wenn man den Pazifismus als Maxime anerkennen würde, so kann man ihn nicht aus der Bergpredigt ableiten, sondern er beruht auf einer eher persönlichen – vielleicht durchaus ehrenwerten - Sicht der Dinge.
Position der Stärke
Das Stiften des Friedens kann aus der Position der Stärke heraus geschehen. Sinnvollerweise sollte es aus der Position der Stärke heraus geschehen, da andernfalls weniger überzeugend agiert werden kann. Ein Zustand des Ungleichgewichts ist tendenziell instabil. Ist ein Staat gerüstet und der andere nicht, so ergibt sich aus dieser Ungleichheit grundsätzlich ein gefährlicherer Zustand als bei einer Parität. Somit ist es nicht empfehlenswert einen einseitigen Pazifismus zu propagieren oder eine einseitige Abrüstung vorzunehmen. Solche Aktivitäten bedeuten eher eine Gefahr für den Frieden, als dass sie stabilisierend wirken. Somit sind solche Handlungen (im Normalfall) keine friedensstiftenden Handlungen im Sinne der Bergpredigt. Gleiches gilt für eine einseitige Aufrüstung.
Ziel ist der Friede
Die Bergpredigt erlaubt den Krieg, sie erlaubt die Waffe, sie erlaubt die Waffenlosigkeit und sie erlaubt die Kapitulation – das Ziel ist der Friede, nicht der Pazifismus - das Ziel ist der Friede, nicht der Krieg.
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