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Inquisition
I. Einleitung
Die Inquisition ist ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte. Sie ist uralt, schon seit 325 n. Chr. gab es in Verbindung mit dem Konzil in Nicaea erste Ansätze zur Etablierung der Inquisition als einem Instrument zur Maßregelung der Christen, die von der offiziell postulierten Glaubenslinie (vorgeblich) abwichen. Institutionell etabliert wurde die Inquisition jedoch erst im 13. Jahrhundert in Verbindung mit der Bekämpfung der Katharer seitens der Kirche.
Die (katholische) Kirche entwickelte diverse rechtliche Konstrukte, basierend auf ethisch-moralischen und traditionellen Grundlagen für das inquisitorische Handeln, welche nach eigenem Verständnis aus der Bibel, den Äußerungen von Kirchenvätern und dem kanonischen Recht abgeleitet wurden – wobei teilweise die tatsächlichen Inhalte dieser “Rechtsquellen” entstellt oder verfälscht wurden. Von den Kirchenvätern galten Augustinus und Thomas von Aquin als die bedeutendsten und anerkanntesten, weshalb diese neben der Bibel zur Begründung der Inquisition eine herausragende Rolle spielten. Doch steht grundsätzlich die Frage im Raum, inwiefern die Äußerungen der Kirchenväter tatsächlich zur Begründung der Inquisition taugten und als einschlägig erachtet werden konnten. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob die Bibel sich zur Rechtfertigung der Inquisition eignete. Diese Frage ist insbesondere deshalb interessant, da in der Literatur kaum in analytischer und exegetischer Weise hinterfragt wird, ob es tatsächlich gerechtfertig war, sich bei der Inquisition, wie es der Fall war, auf die Bibel zu berufen.
II. Hauptteil
1. Entstehung und Entwicklung der Inquisition
Das Christentum wurde im Jahr 313 durch Erlass Kaiser Konstantins als Religion im römischen Reich voll anerkannt und schließlich von Kaiser Theodosius 380 zur Staatsreligion erhoben. Es kam zu einer engen Verbindung zwischen Staat und Kirche. Konstantin setzte sich selbst an die oberste Stelle der Kirchen-Hierarchie und postulierte, dass sein Wort in der Kirche verbindlich sei (Schrank, S. 58/59). Majestätsbeleidigung war im römischen Reich ein todeswürdiges Verbrechen und dieses Rechtskonstrukt wurde zur Grundlage für Inquisitionsmaßnahmen (Decker, S. 17). Trotz des 313 verkündeten Toleranzedikts von Mailand war derjenige, der nun gegen kirchliche Normen verstieß nicht nur ein Feind der Kirche, sondern auch ein Staatsfeind (Engler, S. 116). Die teilweise geäußerte Auffassung: „Der Staat verfolgt, nicht die Kirche, und der Staat sollte für die Grausamkeiten der Verfolgung getadelt werden“ (Runciman, S. 17), lässt sich nicht aufrechterhalten. Denn von Staats wegen wurde nicht gegen die Häresie vorgegangen (Flade, S. 4), sondern schon damals galt: „Die Inquisition ist eine kirchliche Institution“ (Flade S. 1). Kraft ihres Selbstverständnisses setzte die Kirche Lehrauffassungen als verbindlichen Maßstab fest, an welchem die Frage der Häresie entschieden wurde (Armanski, S. 15). Häresie leitet sich aus dem Griechischen von αϊρεσις („haeresis“) ab und bedeutet soviel wie „Wahl“ (Müller 1986, S. 25) und wurde schon in der Zeit des Hellenismus im Sinne einer philosophischen Sonderlehre gebraucht (Kramer, S. 1). Im Deutschen ist auch der Begriff „Ketzer“ gebräuchlich, welcher sich von „Katharer“ und dieser wiederum aus dem griechischen καθαροϊ , „katharoi“, die „Reinen“, ableitet (Küng, S. 6). Inquisition kommt etymologisch vom lateinischen „inquirere“, was „untersuchen“ bedeutet.
Die Feststellung der Häresie erfolgte ab dem 13. Jahrhundert im Rahmen der institutionalisierten Inquisition. Zuvor gab es kein förmliches, juristisches Verfahren. Grundsätzlich galt jede festgestellte Abweichung von der etablierten (reinen) Lehre als Häresie oder Ketzerei und hatte eine Verurteilung zur Folge.
Schon auf dem Konzil in Nicaea 325 wurden die Arianer auf Grund ihres anderen Trinitätsverständnises mit der Todesstrafe bedroht (Engler, S. 32). Im Jahr 370 sollen 80 Geistliche hingerichtet worden sein (Lea, S. 239), im Jahr 385 wurden in Trier zahlreiche Ketzer – mutmaßlich 600 - hingerichtet und der Papst billigte 447 ausdrücklich dieses Vorgehen (Fredericq, S. XIV/XV). Gleichwohl gab es über die Jahrhunderte hindurch relativ wenige Fälle von Häresie und die Häresiebewegungen waren weitgehend auf wenige Personen in begrenzten Regionen beschränkt, meistens handelte es sich um einzelne Mönche (Grundmann, S. 26). Von solchen Erscheinungen ging keine große Gefahr für die Kirche aus.
Eine ganz andere Situation entstand mit den Katharern (Armanski, S. 49). Die Häresie war nicht nur auf Einzelne beschränkt, sondern es handelte sich hier um eine überregionale Volksbewegung, eine organisierte Kirche (Grundmann, S. 26), eine Gegenkirche (Küng, S. 6). Das veranlasste die katholische Kirche zu entsprechenden Maßnahmen. Im Zuge der Bekämpfung der Katharer trat die Kirche mit einer totalen Entschlossenheit auf (Armanski S. 25), sie positionierte sich rechtlich-lehrmäßig (Armanski, S. 112) und politisch-militärisch. Das gab es zuvor noch nicht, hier fand eine deutliche Zäsur statt.
Nachdem der militärische Sieg gegen die Katharer zwar errungen war, die Häresie jedoch nicht ausgerottet war, bekam die Inquisition ihre besondere Bedeutung. Der Kreuzzug hatte die „politischen Rahmenbedingungen für die Etablierung einer effizienteren Ketzerverfolgung geschaffen“(Schwerhoff, S. 27). Das Inquisitionsverfahren wurde ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Okzitanien flächendeckend installiert (Decker, S. 18) und mit Akribie und Grausamkeit durchgeführt, bis der Katharismus ausgemerzt war. Nachdem die Inquisition im Zuge der Bekämpfung des Katharismus einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, verlagerte sich der Schwerpunkt von Südfrankreich in andere Regionen. Berüchtigt wurde die spanische Inquisition, die sich auch auf die Kolonialgebiete erstreckte. Im Lauf der Zeit fokussierte sich die Inquisition auf die Verfolgung von Zauberei und Hexerei (Engler, S. 251), woraus in Form der Hexenprozesse eine Abart der Inquisition entstand (Pfarr, S. 123). Insbesondere im deutschsprachigen Raum, aber auch in Skandinavien und in Osteuropa wütete der Hexenwahn bis in die Moderne. In Glarus wurde 1782 die letzte Frau als Hexe verbrannt.
Die Reformation hatte jedoch im 16. Jahrhundert durch die Inquisition nicht verhindert werden können. Im Zuge dieser umwälzenden Entwicklung „war an ein Wiederaufleben der Inquisition nicht zu denken“ (Decker, S. 75). Doch galt nach wie vor der Grundsatz: „ …quomodo haeretici condemnandi […]“ (Brunus, Conradus, S. 261). Die Inquisition erfuhr eine gewisse Modifikation, indem Papst Paul III. 1542 das „Heilige Offizium“ gründete als ein neues, zentral gesteuertes Instrument gegen die Häresie (Decker, S. 75). Dieses „Heilige Offizium“ gibt es bis heute, wobei die Kirche nicht mehr mit den Mitteln der Vergangenheit arbeitet (Godman, S. 15). Vereinzelt wird sogar behauptet, dass die Inquisition „realiter nicht mehr besteht“ (Heydenreich, S. VII), während die Gegenposition in der Aussage gipfelt: „Die römische Inquisition des Mittelalters besteht unter mehrmals verändertem Namen auch heute fort und verfährt im Wesentlichen noch immer nach jenen mittelalterlichen Grundsätzen […]“ (Küng, S. 8). Das „Heilige Offizium“ firmiert nunmehr unter der Bezeichnung „Glaubenskongregation“ ( Ratzinger, S. 17). Grundlegende Aufgabe der Inquisition war es, die Ketzerei zu vernichten (Higg, S. 237) und die Einheit und Herrschaft der Kirche sowie den Primat des Papstes zu sichern (Engler, S. 160).
2. Methoden der Inquisition
Die inquisitorische Erfassung der potentiellen Häretiker sollte lückenlos erfolgen, insbesondere durch das Zusammenwirken des ortsansässigen Klerus mit den vom Papst beauftragten Inquisitoren, welche die Lande auf der Suche nach Häretikern durchzogen. Aufgabe der Inquisition war es, „die Seelen der Menschen zu erforschen und deren Gesinnung an den Tag zu bringen“ (Nigg, S. 237). Die Inquisitoren rekrutierten sich hauptsächlich aus den Dominikanern. Im juristischen Verfahren war der Richter auch gleichzeitig Ankläger (Rill, S. 71), während der Angeklagte keine Rechte hatte. „Ein Appellationsrecht gab es nicht“ (Nigg, S. 237). Die weltliche Staatsgewalt wurde mit einbezogen und instrumentalisiert (Rill, S. 20). Zwar tötete die Kirche nicht selbst (Pfarr, S. 139), nach dem Motto: „Ecclesia abhorreat a sanguine“, tat jedoch alles, um das Blutvergießen in Gang zu setzen. Die nach Abschluss des Verfahrens formell geäußerte Bitte um Milde für den Delinquenten war heuchlerisch (Decker, S. 20). Die Kirche beherrschte zu der Zeit die weltliche Obrigkeit: „Sie hatte volle Gewalt über das weltliche Schwert“ (Lea, S. 266). Der weltliche Herrscher wurde veranlasst oder gezwungen die Häresie zu bekämpfen. „Die Kirche ließ jeden Würdenträger, den höchsten wie den niedrigsten, fühlen, dass seine Stellung ein Amt in der allgemeinen Theokratie war“ (Lea, S. 252). Anlässlich einer Kaiserkrönung wurde der Gekrönte verpflichtet, die Häresie zu bekämpfen (Lea, S. 253). Friedrich II. ließ Strafbestimmungen gegen Häresie in seine Gesetzgebung aufnehmen. Diese Gesetzgebung, die von der Kirche ausdrücklich begrüßt wurde, wurde auch zum Gegenstand des Lehrstoffes an Universitäten (Lea, S. 254). Keine Ordale (Müller 1996, S. 278) mehr sollten die Wahrheit offenbaren, sondern Verhöre und Denunziation, gepaart mit Folter, sollten die Ketzer zum Geständnis zwingen. Mit der von Papst Innozenz IV. verfassten Bulle „Ad extirpanda“ wurde die Anwendung der Folter angeordnet zum Erpressen der Geständnisse (Pfarr, S. 127). „Die Folter hielt sich als gängige Prozessinstitution“ (Engler, S. 179), obwohl sie im Gegensatz zu den Werten des Christentums und zu den Erwartungen an die Kirche stand (Lea, S. 470). „Das Recht wurde in unterirdischen Folterkammern gefunden oder nur im versiegelten Briefverkehr mit juristischen Fakultäten, die um eine Begutachtung gebeten wurden, ohne den Beklagten jemals gehört oder gesehen zu haben“ (Pfarr, S. 127). Nicht nur die Folter, sondern auch die verhängten Strafen waren hart und grausam: Todesstrafe, Galeeren, Kerker, Verlust des Eigentums, Geldstrafen u. a. sowie kirchliche Bußen.
3. Rechtliche Grundlagen der Inquisition
In der Begründung und Herleitung der „Rechtmäßigkeit“ für inquisitorische Maßnahmen, versuchte die Kirche ein juristisches Fundament durch Beschlüsse von Konzilen und päpstliche Bullen zu schaffen und dieses auf die anerkannten Kirchenväter (Higg, S. 137) und die Bibel (Hasenhüttl, S. 26) zu stützen.
3.1. Das kanonische Recht
Insbesondere im Zuge der Ausbreitung des Katharismus in Okzitanien schuf die Kirche einschlägige Rechtsnormen. Bis dahin gab es keine offizielle Rechtsnorm, vor allem keine katalogisierte Rechtsnorm zur Verurteilung der Ketzer (Grundmann, S. 34). Im Zuge der geplanten Bekämpfung der Katharer wurde dann sukzessive die Fassung und Erweiterung der Rechtsnormen vorgenommen. So wurde anlässlich des III. Laterankonzils 1179 explizit beschlossen, Maßnahmen gegen Häretiker, namentlich gegen die Katharer und ihre Unterstützer (Selge, S. 24) einzuleiten. Es folgte 1184 die Bulle „Ad abolendam“, diese „war eine Art Grundgesetz der Ketzergesetzgebung“ (Armanski, S. 93). Auf dem Konzil in Verona 1184 wurde u. a. das Verbot des Predigens ohne kirchliche Autorisierung beschlossen. Die 1199 erlassene Bulle „Vergentis“ bedrohte auch die Unterstützung der Häretiker mit Strafe und die Bulle „Ad Eliminendem“ 1207 verpflichtete den weltlichen Arm zur Bekämpfung der Ketzer. Dies waren im Wesentlichen die Grundlagen, auf welche Papst Innozenz III. sich beim VI. Laterankonzil 1215 berief und die einschlägigen Bestimmungen in eine verfasste und geschlossene Form brachte, um wirkungsvoller gegen Ketzer vorgehen zu können (Müller 1986, S. 252). Dabei wurden auch die Bestimmungen gegen Juden verschärft (Seifert, S. 89). Neu hinzu kam angesichts des Albigenser Kreuzzugs im Wesentlichen nur die Bestimmung, dass das eroberte Gebiet denjenigen anheim fällt, die es erobern.Die Bestimmungen waren dann folgende:
- Alle Ketzer werden verurteilt, wie auch immer sich die Häresie nennt (Müller 1986, S. 254 ff.). - Wegen Ketzerei Verurteilte werden der weltlichen Obrigkeit zur Strafe übergeben. - Weltliche Gewalten werden angehalten, die Kirche gegen Häretiker zu unterstützen, indem sie in ihrem Herrschaftsgebiet keinen Häretiker dulden, kommt ein weltlicher Herrscher einer diesbezüglichen Aufforderung durch die Kirche nicht nach, wird er exkommuniziert. - Bei einem Kreuzzug gegen Häretiker wird den Teilnehmern Ablass gewährt wie bei einem Kreuzzug gegen Heiden ins Heilige Land. - Solche, die Häretiker bei sich aufnehmen, sie verteidigen und sie unterstützen, werden exkommuniziert. - Laienprediger, die ohne konkrete Autorisierung durch die katholische Kirche predigen, egal ob öffentlich oder im häuslichen Kreis, werden exkommuniziert. - Jeder Bischoff ist verpflichtet, Verdachtsmomenten nachzugehen und zweimal im Jahr die entsprechende Pfarrei zu überprüfen bzw. überprüfen lassen, die Bevölkerung befragt und vereidigt wird.
Hier wurde ein umfassender Katalog von juristischen Bestimmungen zusammengestellt, der die fast lückenlose Erfassung der Ketzer ermöglichte, woraus sich die Grundzüge des inquisitorischen Verfahrens ergaben (Flade, S. 1). Darauf aufbauend wurden nachfolgend Inquisitionslehrbücher erstellt wie das „Praktica Inquisitionis“ von Guidonis oder das „Direktorium Inquisitorum“ von Eymericus (Flade, S. 2).
Unter formaljuristischer Betrachtung ist in der Rechtssetzung die Entwicklung hin zum Tätigwerden ex officio, somit von „Obrigkeits wegen“ (Rabe, S. 105), kennzeichnend, d.h. ohne dass ein mala fama oder eine klagende Person vorhanden sind, wobei es ganz offensichtlich das Ziel war, ein Geständnis entweder durch List oder Folter zu erzielen (Müller 1986, S. 271).
3.2. Kirchenväter
3.2.1. Augustinus
Augustinus (354 – 430) hat das ganze Mittelalter aufs Nachhaltigste beeinflusst (Schmidt, S. 110). Er war neun Jahre lang Anhänger des Manichäismus (Schmidt, S. 111), ein Zeitraum, der wohl ausgereicht hätte, ihn auf den Scheiterhaufen zu bringen. Hätte es damals schon die organisierte Inquisition als Rechtsinstitut gegeben, die Kirche hätte sich selbst einer ihrer Säulen beraubt. Augustinus unterwarf sich schließlich der Kirche und erklärte: „extra ecclesiam nulla salus“. Er trat dann dafür ein, Andersgläubige und Nichtgläubige mit Zwang (Hasenhüttl, S. 30) in die Kirche zu bringen: „Nötige sie hereinzukommen“ (Lukas 14, 23). „Hier wurzelt letztlich die Inquisition des Mittelalters“ (Schmidt, S. 119). Dieses „nötige“ („compelle“) interpretiert Augustinus als „zwinge“, müsste jedoch in Analogie zum biblischen Kontext, wo es um eine Einladung zur Hochzeitsfeier ging, eher verstanden werden als Zuspruch zu einer wohlmeinenden Einladung an solche, die auf Grund ihres (geringen) sozialen Status ermutigt werden müssen, etwas von ihnen (insgeheim) Gewünschtes, aber unerreichbar Erscheinendes, anzunehmen. Theologisch, exegetisch ist hier der Messias als Christus für die Heiden gemeint, nachdem die jüdische Gesellschaft ihn in Person von Jesus von Nazareth abgelehnt hatte. Daraus eine Aufforderung zur Zwangsbekehrung unter Androhung von Strafe abzuleiten, wie Augustinus dies macht, muss als verfehlt angesehen werden. Augustinus trat gegenüber Häretikern für Zwang und Strafen ein, z.B. in Form der Wegnahme des Eigentums (Hasenhüttl, S 29), wobei er jedoch die Todesstrafe verwarf (Troeltsch, S. 766).
3.2.2. Thomas von Aquin
Thomas von Aquin (1225 – 1274) hat die Kirche ganz wesentlich geprägt (Harnack, S. 75). In seinem Buch „Summa Theologica“ sieht Thomas Häresie als Sünde an, „sogar als die schlimmste der Sünden“ (Lea, S. 265) und spricht sich dafür aus, dass bei hartnäckiger Häresie die Todesstrafe verhängt wird (Müller 1986, S. 250). „Multo magis haeretici, statim ex quo de haeresi convicuntur, possunt non solum excommunicari, sed et juste occidi“ (Summa Theologica, II, II, q 11). Die Todesstrafe auch deshalb, da die Kirche Sorge tragen müsse, dass die häretischen Gedanken nicht auch andere infizieren würden (Müller 1986, S. 250). Häresie würde das Seelenheil gefährden, daher sei auch die Todesstrafe gerechtfertigt. In der Abwägung zwischen irdischem Tod durch Strafe und der Gefährdung des ewigen Lebens (anderer) müsse die Kirche - als für das Seelenheil verantwortliche Institution - Letzterem den Vorrang einräumen (Müller 1986, S. 250). Dabei habe auch ein Häretiker seinerseits die Möglichkeit zur inneren Umkehr, nur könne ihn dies bei mehrmals wiederholter Ketzerei nicht vor der Todesstrafe bewahren. Da Thomas mit seinem Lehrgebäude für die katholische Kirche von sehr nachhaltigem Einfluss war (Lea, S.257), spielt diese Einschätzung Thomas’ eine große Rolle für die Rechtfertigung der Inquisition in der katholischen Kirche. “Hauptsächlich Strafen sollen die Menschen also hindern, von Gottes Weg, den das Lehramt definiert, abzufallen“ (Müller 1986, S. 252.).
3.3. Die Bibel
In der Folge werden einschlägige Bibelstellen im Hinblick darauf analysiert, ob sie sich zur Begründung der Inquisition eignen.
3.3.1. Bibelstelle: Titus 3, 10
Paulus schreibt an Titus: „Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und noch einmal ermahnt ist und wisse, dass ein solcher ganz verkehrt ist und sündigt und sich selbst damit das Urteil spricht.“
Die Handlungsanweisung hier ist „meiden“, nicht „verbrennen“, „ermahnen“ und nicht „verurteilen“. Das Urteil spricht sich derjenige „selbst“, nicht andere über ihn, sondern er selbst, in Bezug auf das jüngste Gericht, nicht in Bezug auf eine kirchliche Gerichtsinstanz.
In der Bibel wird eine völlig andere Handlungsempfehlung dargestellt als sie im Rahmen der Inquisition praktiziert wurde, wo beispielsweise die Ketzer nicht gemieden wurden, sondern wo sie in den entlegensten Orten aufgespürt und umgebracht wurden. Das inquisitorische Vorgehen weist eine große Diskrepanz zur biblischen Vorgabe aus.
3.3.2. Bibelstelle: 2. Thessalonischer 3, 6 und 15
Paulus schreibt an die Gemeinde in Thessalonich:
„Wir gebieten euch aber liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch zurückzieht von jedem Bruder, der unordentlich lebt und nicht nach der Lehre, die ihr von uns empfangen habt [...]. Doch haltet ihn nicht für einen Feind, sondern weist ihn zurecht als einen Bruder.“
Wiederum ist die Rede von „zurückziehen“, „meiden“ und „vermahnen“, sogar von einem „Bruder“, aber kein Wort von einem Scheiterhaufen.
3.3.3. Bibelstelle: Johannes 21, 17
Jesus sagt zu Petrus:
„Weide meine Schafe“ (Vulgata:„pasce oves meas“).
Die Inquisition in persona von Ludwig de Paramo sah darin eine Bestätigung der Inquisition (Fredericq, S. XIV). Wobei Jesus nach, Johannes 11, von sich selbst das Bild des Hüters der Schafe zeichnet, der sein Leben lässt für die Schafe - und nicht umgekehrt deren Leben auslöscht - er warnt sogar vor solchen falschen Hirten, die kommen, um zu rauben und zu stehlen und bezeichnet diese als Mietlinge - auch hier handelt es sich um eine eklatante Missinterpretation der Bibel durch die Inquisition.
3.3.4. Bibelstelle: Matthäus 13, 24 – 29
Es wird ausgeführt:
„Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut […]. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten. Er sprach: Nein! […]. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut […], damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune.“
Hier wird ein Gleichnis dargestellt, wonach der Mensch einem Acker vergleichbar ist, auf den guter Same ausgebracht wurde. Ein Feind jedoch säte Unkraut dazwischen und erst in der Ernte wird zwischen Weizen und Unkraut getrennt, wobei das Unkraut verbrannt wird. Somit: Gute Frucht und schlechte sollen miteinander wachsen und werden erst in der Ernte, d.h. im Endgericht getrennt, denn nach Vers 39 des Kapitels ist die Ernte das Ende der Welt und die Schnitter sind die Engel und nicht die Inquisitoren! Aus dieser Bibelstelle kann keine Handlungsanweisung für die Inquisition abgeleitet werden, im Gegenteil, das „Unkraut“ soll man wachsen lassen bis zum Endgericht.
3.3.5. Bibelstelle: Johannes 15, 6
Papst Lucius III. berief sich 1184 auf Johannes 15, 6 (Lea, S. 249/259), wo ausgeführt wird:
„Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt und man sammelt sie und wirft sie in das Feuer und sie muss brennen.“
In diesem biblischen Bild wird davon gesprochen, dass der Glaube ohne Christus nicht Bestand hat, sondern verschwindet und nichts mehr davon übrig bleibt, wie bei einer verdorrten Rebe, die schlussendlich verbrannt wird. Der Fokus liegt auf dem Absterben und Verschwinden des Glaubens, aber keinesfalls auf der physischen Vernichtung eines Menschen. Erweitert man die Interpretation, so ergibt sich gemäß des gesamten Kontextes des Neuen Testaments höchstens ein Hinweis auf das Endgericht am jüngsten Tag, aber nicht die Aufforderung, Menschen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Im weiteren Verlauf dieses Textes (Johannes 16, 2 und 3) spricht Jesus von der Gefahr und von dem Unrecht, wenn Menschen um ihres Glaubens willen getötet werden:
„Es kommt aber die Zeit, dass wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich kennen.“
Jesus gibt hier keinen Auftrag zur Errichtung des Scheiterhaufens, sondern er verurteilt eben gerade diese Verfahrensweise der Inquisition.
3.3.6. Bibelstelle: Apostelgeschichte 19, 19
Von Ephesus wird berichtet:
“Viele aber die Zauberei getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich […]“.
Auf Grund der Predigt des Apostels Paulus waren die Menschen in Ephesus gläubig geworden - mit dem Ergebnis, dass sie ihre Zauberbücher verbrannten. Verbrannt wurden die Zauberbücher, nicht die Menschen. Insbesondere die auf der Inquisition aufbauende Hexenverfolgung des Spätmittelalters, hätte hier erkennen müssen, dass der Feuertod eines Menschen nicht im Einklang mit dem Inhalt der Bibel steht.
3.3.7. Bibelstelle: Markus 9, 38 - 40
Es wird ausgeführt:
„Meister, wir [die Jünger] sahen einen, der trieb böse Geister in deinem Namen aus, und wir verboten’s ihm, weil er uns nicht nachfolgt. Jesus aber sprach: Ihr sollt’s ihm nicht verbieten.“
Die Kirche machte im Rahmen der Inquisition genau das Gegenteil dessen, was Jesus hier lehrt: sie verbietet, zu predigen oder geistliche Handlungen vorzunehmen, sofern jemand nicht zur Organisation der Kirche gehört – dies steht dem Gebot Christi diametral entgegen, denn für Jesus war es in Ordnung, dass der Nämliche nicht zum Kreis seiner Jünger gehörte und trotzdem geistliche Handlungen durchführte. Dagegen die Position der Inquisition: Wer nicht der Kirche untertan ist, gilt als Ketzer (Lea, S. 257).
3.3.8. Bibelstelle Matthäus 22, 34
Es wird ausgeführt:
„Als aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte […]“.
Die Sadduzäer, liberale jüdische Gelehrte, hatten Jesus mit einer Frage über die leibliche Auferstehung fangen wollen und waren damit offensichtlich gescheitert, was die orthodox religiösen Juden ermutigte, ihrerseits provokative Fragen zu stellen. Aus dem gesamten Kontext des neuen Testaments ist zu entnehmen, dass Jesus ständig mit Lehrfragen konfrontiert war und dabei die Klärung ausschließlich verbal und argumentativ vornahm, seinerseits jedoch nie eine inquisitorische Handlung - auch nicht ansatzweise - im Raume stand. Er warnt sogar und sagt seinen Anhängern (Lukas 21, 12 ff.):
„Aber vor diesem allen werden sie Hand an euch legen und euch verfolgen [...]. Ihr werdet aber verraten werden von Eltern, Brüdern, Verwandten und Freunden; und man wird einige von euch töten.“
Die Inquisition forderte, dass beispielsweise Kinder ihre Eltern (Engler, S. 159). anzeigten und bei Unterlassen wurden die Kinder sogar mit Strafe bedroht (Flade, S. 9). Es stellt sich die Frage, ob Jesus hier vor den Inquisitoren warnt.
3.3.9. Bibelstelle: Galater 2, 11 - 14 Die katholische Kirche beruft sich auf den Apostel Petrus und spricht im Hinblick auf ihr Selbstverständnis vom Stuhl Petri, woraus konkludent eine zuzumessene Vorbildfunktion im Hinblick auf das Verhalten dieses Apostels abgleitet werden kann.
Im Brief des Paulus an die Galater 2, 11 ff. ist zu lesen: „Als aber Kephas [jüdischer Name von Petrus] nach Antiochien kam, widerstand ich [Paulus] ihm ins Angesicht, denn es war Grund zur Klage wider ihn [...]“.
Es ging um Heuchelei des Petrus gegenüber den jüdischen Christen im Hinblick auf Lehrfragen. Die Vulgata weist aus (Galater 2,11): „ […] in faciam ei restiti [...]“, d.h. „resistere“ im Sinne von „sich entgegenstellen“. Somit geht es nicht nur um ein schlichtes Widersprechen, sondern sogar um konkreten Widerstand gegen die Haltung von Petrus. Ein Verhalten, das die Bibel in diesem Kontext befürwortet. Später spricht Petrus von seinem Kollegen als „[…] unser lieber Bruder Paulus […]“ und führte weiter aus, dass in dessen Briefen „[…] einige Dinge schwer zu verstehen sind […]“ (2. Petrus 3, 15 f). Somit ist bei Petrus keine Spur von Unbelehrbarkeit und Unfehlbarkeit und schon gar nicht von inquisitorischen Erwägungen festzustellen. Obwohl sich die katholische Kirche auf Petrus beruft, ließ sie ein solches Verhalten in Bezug auf den Komplex der Lehrfragen und davon abgeleitet im Hinblick auf die Inquisition vermissen.
3.3.10. Bibelstelle: Lukas 16, 1- 9
Die Kirche beruft sich bei inquisitorischen Maßnahmen auch auf das Gleichnis Jesu in Lukas 16, 1 – 9 (Müller 1986, S. 266.). Es ist hier die Rede von einem untreuen Verwalter, den sein Herr zur Rechenschaft fordert, da dieser im Zuge seiner anstehenden Entlassung Schuldner seines Herrn begünstigt hatte. Aber anstatt den untreuen Verwalter zu kritisieren, lobt ihn sein Herr – nicht im Hinblick auf die Veruntreuung, sondern in Bezug auf sein kluges Handeln. Der untreue Diener erfährt gemäß Bibel keinerlei Kritik oder Strafe. Wie hieraus eine Berechtigung zu inquisitorischem Handeln abgeleitet werden soll, bleibt rätselhaft.
3.3.11. Bibelstelle: 5. Mose 13, 6 - 10 Im Folgenden wird exemplarisch eine Bibelstelle aus dem Alten Testament betrachtet, um aufzuzeigen, dass die Inquisition sich zu Unrecht auf das Alte Testament und das mosaische Gesetz stützen wollte. Der Inquisitor Ludwig von Paramo berief sich auf folgende Bibelstelle (Fredericq, S. XIV):
„Der Prophet [...] soll sterben, weil er euch gelehrt hat, von dem HERRN eurem Gott abzufallen, […]. Deine Hand soll die erste sein ihn zu töten, danach die Hand des ganzen Volks.“
Bei dem Versuch, sich auf das Alte Testament zu berufen, wird insofern ein gravierender Fehler begangen, als in einer kirchlichen, d.h. neutestamtlichen Lehrfrage das Alte Testament die Norm setzen soll. Die Bestimmungen des Alten Testaments haben eben gerade in Christus, auf den sich die Kirche als ihren Gründer beruft, die Erfüllung gefunden. Die Veränderung gegenüber dem Alten Testament kommt u. a. in der Bergpredigt Jesu zum Ausdruck:
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2. Mose 21, 24) Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel [...]“.
Auch als Jesus, gemäß Johannes 8, 3 – 11, mit der Forderung der Pharisäer konfrontiert wurde, dass eine Ehebrecherin nach dem mosaischen Gesetz gesteinigt werden müsse: „Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“, widersetzte sich Jesus ihrer Argumentation mit dem Hinweis, dass wer ohne Sünde sei, den ersten Stein werfen solle und verdammte diese Frau nicht, sondern forderte sie auf, sich künftig anders zu verhalten und postulierte damit eine völlig neue, andere Verfahrensweise.
Christus als der Gründer der Kirche wendet in solchen Fällen nicht die alttestamentarischen Bestimmungen an. Wollte sich die Kirche in solchen Lehrfragen auf das Alte Testament berufen, dann müsste sie sich konsequenterweise selbst aufgeben, denn dann käme dies einer Rückkehr zum Judentum gleich, was die Kirche nachdrücklich ablehnte, ja sogar mit der Todesstrafe bedrohte.
Die Kirche bzw. die Inquisition als deren verlängerter Arm verleugnet hier ihr eigenes Selbstverständnis, indem sie sich in einer neutestamentlichen Lehrfrage auf das Alte Testament beruft.
3.4. Fazit
Das von der Kirche geschaffene Recht eignete sich offensichtlich, die Katharer sowie zahlreiche weitere nachfolgende Häresien wirksam zu bekämpfen. Die Reformation konnte jedoch nicht verhindert werden. Das wesentliche Moment für die Wirksamkeit der Inquisition war begründet in der Angst der Menschen vor der ewigen Verdammnis, da die Auffassung „extra ecclesiam nulla salus“ Allgemeingut war. Hinzu kam die Angst vor der körperlichen Strafe (Armanski, S. 136). Augustinus sprach sich für die Bekämpfung der Häretiker mit solchen juristischen Mitteln aus wie Verbannung und Enteignung (Engler, S. 141), lehnte jedoch Folter und Todesstrafe ab, während Thomas von Aquin die Todesstrafe gegen hartnäckige Ketzer befürwortete. Die Bibel lehnt Inquisition eindeutig ab. Die Bibel spricht sich bei Häresie - was auch immer darunter zu verstehen ist - für einen geistlichen Sanktionsmechanismus aus, der beispielsweise den Ausschluss der Häretiker aus der Gemeinde beinhaltet, sie lässt jedoch juristische, staatliche und eigentumsrechtliche Komponenten völlig außen vor. Somit ist festzustellen, dass sich die Kirche bei der Gestaltung der Rechtsnormen für die Inquisition nicht auf die Bibel berufen kann.
Deutlich zu widersprechen ist der Auffassung wo behauptet wird (Fredericq, S. XIII), dass die Stellungnahme des Apostels Paulus (siehe oben S. 9: Titus 3,10 und 2. Thessalonicher 3,15) das Vorspiel für die Grausamkeit und den Hass des Mittelalters, d.h. für inquisitorischen Maßnahmen sei. Ebenso ist zu widersprechen, wenn ausgeführt wird (Lea, S. 267), dass gemäß Matthäus 5, 17: „Ich [Jesus] bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen“ eine Rechtfertigung für inquisitorische Maßnahmen aus dem Alten Testament ableitet werden könne. Gerade dieses Christuszitat rechtfertigt nicht – wie oben gezeigt - die Anwendung der alttestamentarischen Bestimmungen, sondern fundamentiert, u. a. in der Bergpredigt, deren Ablösung durch einen neuen Maßstab! Es kann die Aussage gemacht werden: „Inquisition im Namen Christi ist Blasphemie.“ (Küng, S. 8) „Es gibt keine ernsthafte christliche Begründung der Ketzervernichtung […]“ (Nigg, S. 234).
Die Bibel in ihrer Gesamtfassung warnt sogar vor einem Handeln, wie es in den inquisitorischen Maßnahmen zum Ausdruck kam.
III. Schlussbetrachtung
Durch die Inquisition sind Ströme von Blut geflossen – kein Ruhmesblatt für die Kirche. Die von der Kirche erlassenen einschlägigen juristischen Bestimmungen schaffen kein Recht und keine Rechtfertigung im moralisch-ethischen Sinn. Das Gleiche gilt für die Aussagen der Kirchenväter Augustin und Thomas von Aquin, die Zwang, ja teilweise sogar die Todesstrafe zulassen. Aus der Bibel lässt sich die Rechtfertigung zur grausam praktizierten Inquisition nicht herleiten. Das von der Bibel durchaus geforderte Bewahren der schriftgemäßen Lehre und das Wachen über deren gewissenhafte Einhaltung lässt sich keinesfalls als Rechtfertigung für die brutalen inquisitorischen Methoden zur Verfolgung Andersgläubiger heranziehen. Im Gegenteil: „[…] vieles im Wesen und Leben dieser Kirche wird einem überhaupt nur klar, wenn man bei der geschichtlichen Beurteilung nicht von Jesus und den Aposteln ausgeht, sondern von den Cäsaren, nicht von Galiläa, sondern von Rom, nicht von der Bibel, sondern vom römischen Recht“ (Harnack, S. 66). Es lässt sich die Aussage machen: Hätte die Kirche die Bibel ernst genommen, hätte es nie Inquisition gegeben.
Auch die teilweise abstrusen Lehren und Verhaltensweisen der Häretiker rechtfertigen die praktizierten Verfolgungsmaßnahmen durch die Inquisition nicht. Die heute von der katholischen Kirche praktizierte „neue Inquisition“ (Küng, S. 5), deren Kritiker fordern: „Romanam inquisitionem esse delendam“ (Küng, S. 8), kann nur im Hinblick auf den formaljuristischen Ansatz mit der historischen Inquisition verglichen werden, nicht jedoch im Hinblick auf die verhängten Maßnahmen oder Strafen, die sich beispielsweise „nur“ im Entzug der Lehrerlaubnis niederschlagen (Neumahr, S. 194). Bis heute beschäftigt sich die kirchliche und nicht kirchliche Gesellschaft mit der Thematik Inquisition, was u. a. in dem zum Jahrtausendwechsel erfolgten Bußbekenntnis „Mea Culpa“ der katholischen Kirche seinen Ausdruck fand, wo Unrechtmäßigkeiten des praktizierten inquisitorischen Handelns eingeräumt wurden (Godman, S. 361).
Inquisition muss als Ausdruck eines extremen religiösen Fanatismus angesehen werden, sie ist durch nichts zu rechtfertigen.
Quellen
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